Ist Tantra-Massage "sexy"?

Ich arbeite gerade an einem Buch über Tantra-Massage. Irgendjemand muss doch der Welt mal erklären, was wir da tun, warum und wie und warum das so wichtig ist.

Dem Literatur-Agent, Herr M., gefällt mein Exposé auf Anhieb.

Doch nach ein paar Wochen ruft er mich an und erklärt mir, dass sich das in dieser sachlichen, fast schon wissenschaftlichen Art schlecht verkaufen würde.

Ob ich das nicht ein bisschen mehr sexy machen könnte?

Ach.

Naiv wie ich bin hatte ich das Exposé in dem Glauben verfasst, es müsse angesichts des pikanten, vorurteilsbehafteten Sujets ganz besonders seriös daher kommen. Offenbar ist mir das gelungen – was nun allerdings gerade nicht dabei hilft, einen Verlag zu finden.

Bei nochmaligem Studium meiner Ausführungen muss ich schmunzeln: Meine eigene Seriosität (oder was ich dafür halte) in allen Ehren – in Tonfall und Struktur passt das Buchkonzept nicht so wirklich zum Thema.

Challenge accepted! Das kann ich besser.

Aber: Sexy??

Diesmal absichtlich naiv, gehe ich nicht davon aus, dass Herr M. damit reißerisch, pornografisch, skandalös meint. Das bekommt er von mir definitiv nicht.

Nichtsdestotrotz beobachte ich fasziniert wie sich mein Hirn verknotet bei dem Versuch, das Konzept „Tantra-Massage“ und das Konzept „sexy“ zusammenzubringen.

„Sexy: Sexuell attraktiv oder zu einer entsprechenden Wirkung verhelfend. Synonyme:    attraktiv, aufregend, aufreizend, erotisch“
Duden

Bei „sexy“ denke ich an weibliche Rundungen in ansprechender Verpackung, an Henry Cavill (The Witcher) und Jason Momoa (Aquaman), an Striptease und Lapdance.

Ja, wir arbeiten mit Sexualität. Lust, auch explizit genitale Lust sind Teil des Gesamtpakets „Tantra-Massage“. Aber nicht alles was mit Sexualität zu tun hat ist auch sexy. Wir kommen ganz ohne Dessous, High Heels und knackige Oberarme aus – visuelle Reize und Fantasien sind vollkommen unnötig. Wir sind ganz absichtlich nicht aufreizend, ziehen die Lust nicht an den Haaren herbei. Wir locken sie geschickt hervor, indem wir die Sinne wachkitzeln und kunstvoll verwöhnen. Den Rest macht der Körper ganz allein (Überraschung: Auch „männliche Sexualität“ besteht nicht nur aus Geilheit und Trieb).

Vielleicht kann man das am Beispiel des erotischen Tanzes ganz gut erklären: Ohne die Talente und Fertigkeiten der Lapdancerinnen da draußen in Abrede stellen zu wollen, wage ich zu behaupten, dass man für Lapdance lediglich einige wenige relativ einfache, aber hochgradig effektive Techniken beherrschen muss (den eigenen Hintern lasziv im Schoß der Partner*in kreisen lassen, die Brüste ganz nah vor seinem* Gesicht bewegen, ihre* Innenschenkel langsam hochstreichen usw.). Die Kunst besteht ja gerade darin, innerhalb kurzer Zeit das Ziel – sexuelle Erregung – zu erreichen. Ich wage auch zu behaupten, dass sich die meisten Lapdances ziemlich ähnlich sehen und dass man die Grundlagen, entsprechende Bewegungsfähigkeit vorausgesetzt, recht schnell erlernen kann (die Tutorials auf Youtube sind 4 bis 30 Minuten lang).

Nun vergleiche das mit Bauchtanz  oder Burlesque: Hier ist eine mehrjährige Ausbildung erforderlich, um wirklich gut zu sein. Muskeln müssen aufgebaut, Flexibilität trainiert, Bewegungsabläufe einstudiert werden. Die Kostüme sind aufwendig und vielfältig. Es handelt sich um Kunstformen, die sich über Jahrhunderte entwickelt und in unterschiedliche Stile aufgespalten haben.

Im Burlesque und im Bauchtanz werden keine Sex-Bewegungen simuliert, um Penisse hart und Vulven feucht zu machen: Stattdessen wird die Schönheit des weiblichen (zuweilen auch männlichen) Körpers durch Outfit und Bewegung geschickt betont, wird die Fantasie angeregt, wird der Sinnlichkeit gehuldigt – auf verlockende, üppige, schwelgerische, oft auch verspielte, freche und humorvolle Art und Weise. Auch hier wackeln Brüste und Pos, schimmert viel nackte Haut. Aber irgendwas ist anders, oder?
Abgesehen davon geht es immer auch darum, die Kunst um seiner selbst Willen den jeweiligen Qualitätskriterien (Anmut, Geschmeidigkeit, Vielfalt, …) entsprechend gut, vielleicht sogar hervorragend auszuüben.

Der Vergleich hinkt, sicherlich. Aber ihr versteht vielleicht, was ich meine?

Ich glaube, ich finde Tantra-Massage eher im übertragenen Sinne sexy... So wie ich Salted Caramel Eiscreme sexy finde. Oder a good job well done (insbesondere kompetente handwerkliche Tätigkeiten in meiner Wohnung). Brillante, elegante Argumentationen. Eloquenter Humor. Und so.

Im mean, seriously: Stilvolle Räume, schöne Düfte und Klänge, ölige Haut, sinnliche Kunstfertigkeit, bedingungsloses Wohlwollen, für eine Weile absolut und allumfänglich man selbst sein dürfen – und womöglich ein Orgasmus on top.

Als Idee eigentlich ziemlich sexy, oder?

Etwas poetischer könnte man sagen: Wir halten die Menschen in sich selbst und lassen sie durch unsere Hände in tiefe Entspannung gleiten. Beides, die Wahrnehmung nach innen und die Gelöstheit sind unabdingbare Voraussetzungen für – Achtung, großes Wort! – Ekstase.

Was das nun wieder ist, ergründe ich ein andermal.

Eva Hanson

Eva erforscht sexuelle Kultur in Theorie und Praxis. Man könnte auch sagen, sie ist ein Sex-Nerd. Wenn sie keine Tantra-Massagen gibt, findet man sie meistens hinter einem Buch.

https://evahanson.de
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